Blitzergutachten – ein wichtiger Baustein bei Verkehrs-OWi-Verfahren

In Für Rechtsanwälte by BlitzerGutachten

Von Janine Redmer-Rupp, Fachanwältin für Verkehrsrecht

Post zu erhalten ist manchmal erfreulich, häufig jedoch, insbesondere bei behördlichem Absender, eher nicht. Ganz unschön sind neben Schreiben vom Finanzamt in der Regel Briefe, in denen der Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit enthalten ist. Mag man etwaige “Parkknöllchen” noch zähneknirschend bezahlen, stellt sich der Adressat bei der Behauptung einer Geschwindigkeitsüberschreitung, einer Abstandsunterschreitung oder eines Rotlichtverstoßes jedenfalls dann, wenn es um den Eintrag von Punkten “in Flensburg” oder gar ein Fahrverbot geht, die Frage, ob eine Verteidigung 1. möglich und 2. sinnvoll ist und (wenn beides bejaht wird) 3., wie das funktioniert.

Zu 1 – ist eine Verteidigung möglich?

Die zumeist im Einsatz befindlichen Messverfahren, welche dem Tatvorwurf zugrunde liegen, sind sogenannte standardisierte Messverfahren.

Nach der gängigen Definition ist unter einem standardisierten Messverfahren ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

Die Einordnung als standardisiertes Messverfahren hat vor allem zur Folge, dass sich der Tatrichter im Urteil darauf beschränken kann,

  • das gewählte Messverfahren (idR durch Mitteilung des Messgerätes),
  • die gewährte Toleranz (hierauf verzichten die Oberlandesgerichte teilweise, wenn die Bezeichnung des Messgerätes hinreichend genau ist, sich also hieraus die zu gewährende Toleranz ergibt)
  • und das nach Toleranzabzug ermittelte vorwerfbare Messergebnis

zu benennen.

Weitere Darlegungen sind nur erforderlich, wenn sich Besonderheiten/Unregelmäßigkeiten aus der Akte ergeben oder von dem Betroffenen geltend gemacht werden, wobei hier eine pauschale Behauptung ins Blaue hinein (Bsp.: „Das Messgerät hat nicht richtig funktioniert“ oder “so schnell war ich nicht”) unerheblich ist.

Einhergehend mit den herabgesetzten Anforderungen an die Darstellungen im tatrichterlichen Urteil hat der BGH festgestellt, dass der Tatrichter in den Fällen des Vorliegens standardisierter Messverfahren regelmäßig nicht verpflichtet ist, „Erörterungen über deren Zuverlässigkeit anzustellen“. Es kommt dementsprechend auch zu einer Einschränkung der Amtsermittlungspflicht. Der Tatrichter muss sich somit nur dann von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind.

Solche konkreten Anhaltspunkte müssen also ausdrücklich vorgetragen werden, sei es durch den Betroffenen selbst oder durch die Verteidigung für ihn.

Dies setzt aber naturgemäß voraus, dass über die Akteneinsicht ausreichend Kenntnisse vermittelt werden, um etwaige Fehler respektive Ungereimtheiten im Verfahren und/oder bei der Messwertbildung finden zu können.

Das Recht auf eine entsprechende Akteneinsicht (und hiermit einhergehend auf eine aktive Verfahrensgestaltung) wurde speziell in den letzten Jahren sowohl durch Landesverfassungsgerichte aber auch durch das Bundesverfassungsgericht erheblich gestärkt, die Entwicklung ist allerdings bei Weitem noch nicht abgeschlossen.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass es bereits jetzt durchaus möglich ist, etwaige Anhaltspunkte für Messfehler oder aber auch sonstige Verfahrensfehler aufzudecken und auf diese Weise in die aktive Verteidigung einzusteigen.

Zu 2 – ist eine Verteidigung sinnvoll?

Naturgemäß führt nicht jeder Fehler automatisch zur Einstellung des Verfahrens oder zum Freispruch. Bisweilen mögen manche Fehler geheilt werden, führen nicht zum Beweisverwertungsverbot oder sind in ihren Rechtsfolgen umstritten. Eins haben jedoch die meisten Unregelmäßigkeiten/Fehler gemein: Sie führen dazu, das Verfahren mitgestalten zu können, indem Anträge gestellt, Rechtsausführungen getätigt und manchmal das Feld des standardisierten Verfahrens verlassen werden, kann mit der Folge, dass die konkrete Messung durch das Gericht im Einzelfall tatsächlich überprüft werden muss. Mit anderen Worten: Man macht dem erkennenden Gericht Arbeit. Hier ist das Betätigungsfeld weitreichend, so kommen etwa Datenschutzverstöße durch die Behörde, Bedienfehler der Messbeamten, nicht ausreichende Schulungen des Messpersonals, Fragen zur Wirksamkeit des Bußgeldbescheids, Verjährungsfragen, Richtlinienverstöße, unvollständige Beweismittel und vieles mehr in Betracht.

Die möglichen Folgen sind unterschiedlich und hängen neben der „Qualität“ des Fehlers nicht zuletzt auch davon ab, was angestrebt wird. Manch einem Betroffenen ist gedient, wenn zwar eine Geldbuße verbleibt, diese aber unterhalb der Eintragungsgrenze angesiedelt ist, also kein Punkt „in Flensburg“ eingetragen wird. Andere streben das Absehen vom Fahrverbot oder die Einstellung insgesamt an.

Fazit zu 2: Eines haben die vorstehenden Möglichkeiten gemein: Gelingt das Erreichen des Ziels, ist die Verteidigung sinnvoll. Gelingt es nicht oder nicht vollständig, möglicherweise wurden schlicht keine Fehler gefunden, ist gleichwohl der Versuch im Sinne der Überprüfung sinnvoll. Warum Chancen von vorneherein nicht nutzen?

Zu 3 – Wie funktioniert die Verteidigung?

Im Rahmen der Akteneinsicht werden der Verteidigung, manchmal erst nach einer Streitigkeit hinsichtlich des gewünschten Umfangs, je nach Messverfahren verschiedene Schriftstücke und Dateien zugeleitet, welche sodann einer Prüfung unterzogen werden müssen, so z. B.:

  • Messfoto/Messvideo/Vorlagendatensatz
  • Digitale Falldatei zum Betroffenen (möglichst mit Rohmessdaten)
  • Eventuell erforderlicher Softwaretoken und Passwort
  • Messprotokoll/Einsatzprotokoll
  • Eichschein
  • Schulungsbescheinigungen des Bedienpersonals (Mess- und Auswertepersonal)
  • Kalibrationsfoto, Testfotos
  • Referenzvideo
  • Eichunterlagen des Messgerätes
  • Unterlagen zum Konformitätsverfahren
  • Gebrauchsanweisungen
  • Falldateien der Messreihe auch von anderen gemessenen Verkehrsteilnehmern (ggf. aus Datenschutzgesichtspunkten teilweise zu anonymisieren)
  • Unterlagen etwa über halbjährliche Sensorenprüfung („Piezo-Richtlinie“)
  • Statistikdaten

Insbesondere bei den (technischen) Auswertungen der Falldateien, Statistikdateien, der Prüfung dahin gehend, ob etwaige Vorgaben der Physikalisch-technischen Bundesanstalt (PTB s. o.) eingehalten wurden etc. stößt aber regelmäßig auch der verkehrsrechtlich versierte Verteidiger naturgemäß an seine Grenzen. Der Verteidiger prüft auf die Vielzahl von sich stellenden juristische Fragestellungen, verfügt zumeist aber nicht über die speziellen Programme und Kenntnisse, um z. B. die relevanten Dateien prüfen oder auch nur öffnen zu können. Das muss er auch nicht, denn genau hier findet sich eine zentrale „Schaltstelle“, nämlich die Hinzuziehung eines technischen Sachverständigen im Verfahren. Der Sachverständige verfügt in der Regel über weitaus tiefergehende Möglichkeiten, um nicht nur Messdaten, sondern auch Konfigurationsdaten des Messgerätes und der Messstelle auszuwerten. Über diese Daten können nicht nur die Angaben des Bedienpersonals im Messprotokoll überprüft werden, sondern es können auch überlegende Beweismittel geschaffen werden, um falsche Messstelleneinrichtungen nachzuweisen. Stehen keine Rohmessdaten oder Zusatzmessdaten mehr zur Verfügung, kann der Sachverständige je nach Messverfahren im Einzelfall fotogrammetrische Analysen und/oder alternative Auswerteverfahren zur Plausibilitätsprüfung der angezeigten Geschwindigkeit vornehmen. Nach entsprechender Prüfung durch den Sachverständigen hat die Verteidigung dann wieder die Aufgabe, die entsprechenden Ergebnisse juristisch eingekleidet im Verfahren einzubringen.

Kurz: Schuster, bleib bei Deinen Leisten, die sinnvolle Verbindung von juristischer und technischer Kompetenz erfolgt über das sogenannte BLITZERGUTACHTEN.

Eine bestmögliche Verteidigung ist erfahrungsgemäß nur im Rahmen einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Gutachter zu erzielen.

Janine Redmer-Rupp, Fachanwältin für Verkehrsrecht